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Besser miteinander reden – kann man üben!
Sie spricht mit einer angenehmen Mischung aus Ruhe und Lebendigkeit, hört aufmerksam zu, antwortet konzentriert, lacht viel – man unterhält sich gern mit Dr. Sandra Hensel. Vielleicht liegt das daran, dass sich die Diplom-Psychologin beruflich ziemlich viel mit Kommunikation beschäftigt. Nämlich mit den spannenden Fragen: Wie können (Eltern-)Paare ihre Kommunikation verbessern? Offener miteinander sprechen, Missverständnisse vermeiden, sich mehr Wertschätzung entgegenbringen, Konflikte nicht eskalieren lassen und stattdessen konstruktiv lösen? Wie kann eine App spielerisch beim Üben helfen? Und lassen sich diese Tipps auch auf die Familien-Kommunikation mit Kindern übertragen? Wir haben die Expertin gebeten, ihre Antworten mit uns zu teilen.
Über Dr. Sandra Hensel
Sie hat mehrere berufliche Standbeine und Kommunikation gehört überall dazu: Die Diplom-Psychologin Dr. Sandra Hensel arbeitet zum einen am Institut für Kommunikationstherapie e.V. (eine Einrichtung der Erzdiözese München-Freising in Zusammenarbeit mit der Ehe-, Partnerschafts- und Familienberatung München). Dort ist Hensel für den Arbeitsschwerpunkt „Forschung zu Prävention und Behandlung von Partnerschafts- und Familienstörungen“ zuständig – und für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. So betreut sie u. a. das App-Projekt „Paaradies“ und die dazugehörige Website „Damit die Liebe bleibt“. Zum anderen ist sie in ihrer eigenen Praxis als systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin im Münchner Süden tätig. Sandra Hensel ist verheiratet und Mutter eines Sohnes.
Interview: Wie Paarkommunikation gelingt
Frau Hensel, wie verändert Elternschaft eine Paarbeziehung?
Sandra Hensel: Das neue Leben mit einem oder mehreren Kindern stellt für viele Paare eine große Herausforderung dar und bringt meist viele Veränderungen mit sich. Das hat natürlich auch Einfluss auf die Paarbeziehung: Beide Partner brauchen viel Zeit und Organisationsaufwand für das Baby, haben Schlafmangel, sind nie allein, Zeit für Zweisamkeit als Paar geht im Alltagsstress verloren. Oft kommt es zu einer Veränderung der Rollen: Beide sehen sich fast nur noch als Mama und Papa, die Liebesbeziehung tritt in den Hintergrund. Fachleute sprechen von einer Veränderung in Richtung einer „instrumentell geprägten Bindung“: Wenn man nichts dagegen tut, dient die Beziehung dann in erster Linie der Versorgung des Kindes.
Was sind typische Alltagsprobleme, mit denen Elternpaare zu Ihnen in die Beratung kommen?
Grundsätzlich suchen viele Paare zu spät Rat und Hilfe: wenn die Konflikte schon sehr groß und festgefahren sind, wenn eine Seite vielleicht auch schon innerlich aus der Partnerschaft ausgestiegen ist. Deshalb haben wir am Institut für Kommunikationstherapie e.V. Kommunikationskurse und die App Paaradies entwickelt – als präventive Maßnahmen. In die Beratung kommen viele Elternpaare aber auch wegen immer wiederkehrenden Streits rund um Alltagsthemen: z. B. Aufgabenverteilung im Haushalt, Bettgehzeiten, Erziehung, Medienkonsum. Und viele beschäftigt: Wie bekomme ich Beruf, Haushalt und Familie unter einen Hut, wie definieren wir die Rollen neu? Zudem suchen immer mehr Paare in Trennungsprozessen therapeutische oder beratende Begleitung, also auch, wenn die Entscheidung schon gefallen ist.
GESAGT
„Kommunikation ist der stärkste Einflussfaktor für die Qualität und Stabilität von Partnerschaften.“
Welche Rolle spielt die Kommunikation bei der Entstehung von Konflikten – und bei ihrer Lösung?
Gelungene Kommunikation trägt entscheidend dazu bei, Konflikte entweder ganz zu verhindern, zu entschärfen oder konstruktiv zu lösen. Studien aus der Ehe- und Partnerschaftsforschung belegen, dass das Kommunikationsverhalten sogar der stärkste Einflussfaktor für die Qualität und Stabilität von Partnerschaften ist. Streit und Konflikte sind normal – aber es kommt auf das „wie“ an – denn das beeinflusst, wie der Konflikt ausgeht und was er für Folgen hat. Lösungsorientiert und respektvoll miteinander streiten – das ist entscheidend. Das ist oft gar nicht so leicht, weil sich bereits Muster eingeschlichen haben, die wir vielleicht sogar schon von unseren Eltern übernommen haben. Aber die gute Nachricht ist: Gute Kommunikation kann jedes Paar mit Gesprächsregeln üben und so bewusst die Beziehung pflegen!
Was sind wichtige Gesprächsregeln?
Wünsche und Anliegen sollten Sie folgendermaßen formulieren: möglichst konkret, lösungsorientiert, in einem respektvollen Tonfall und als Ich-Botschaft. Es geht ja im Familienalltag oft um Kleinigkeiten: Wer räumt die Spülmaschine aus, wer bringt die Kinder ins Bett usw. Menschen neigen dazu, unausgesprochen zu viel vom Gegenüber zu erwarten: „Er oder sie muss doch merken, was mich stört und was mir fehlt!“ Und wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden, dann entsteht Frust, der irgendwann unkontrolliert herausexplodieren kann – oder vielleicht auch schweigend in sich hineingefressen wird. „Du-Sätze“ wie „Du hast ja schon wieder vergessen, den Kinderarzttermin auszumachen!“ wirken schnell als anklagender Vorwurf – und sorgen beim Gegenüber oft automatisch für eine Verteidigungshaltung.
Können Sie die Regel an einem Alltagsbeispiel erklären?
Ein Kleinkind kann regelmäßig nicht einschlafen und kommt immer wieder aus dem Bett ins Wohnzimmer. Die Mutter will die Aufgabe, das Kind wieder ins Bett zu bringen, nicht jedes Mal übernehmen. Sie kann nun als konkrete Ich-Botschaft an den Vater formulieren: „Ich bin heute echt erschöpft, könntest du die Kleine heute mal ins Bett bringen? Das wäre echt lieb!“ Das hört sich ganz anders an als „Nicht schon wieder, du könntest ja auch mal aufstehen!“ oder „Immer muss ich mich darum kümmern!“
GESAGT
„Verallgemeinerungen können Meinungsverschiedenheiten schnell eskalieren lassen.“
Was sind weitere Gesprächskiller und Konfliktbeschleuniger?
Alle Formulierungen, die ein Gespräch sofort abwürgen oder eskalieren lassen oder beim anderen automatisch Widerspruch hervorrufen. Zum Beispiel Verallgemeinerungen: „Nie hilfst du im Haushalt.“ oder „Immer muss ich mich um den Papierkram kümmern.“ Oder konkrete Vorwürfe: „Wenn du nicht noch so spät mit Max herumgetobt hättest, wäre er jetzt nicht so aufgedreht und würde schneller einschlafen.“ Oder auch vermeintliche Fachleute und Verbündete zitieren: „Ich habe im Erziehungsratgeber gelesen, dass Abendrituale total wichtig sind. Meine Freundin Nora sieht das genauso.“
Das waren Regeln für die sprechende Person. Worauf sollte man beim Zuhören achten?
Immer möglichst aktiv und achtsam zuhören. Das heißt: Blickkontakt aufnehmen, Signale senden, dass man konzentriert bei der Sache ist (z. B. nicht nebenbei auf dem Handy herumtippen!) und in eigenen Worten zusammenfassen und sich rückversichern, ob man das Gesagte richtig verstanden hat: „Also du wünschst dir, dass ich öfter das Wochenendprogramm für die Kinder übernehme.“ Solche Rückmeldungen und Nachfragen fühlen sich am Anfang unnatürlich an – aber sie helfen extrem, um sich gegenseitig besser zu verstehen.
Kommunikations-Tipps kompakt
Für beide Seiten gilt in der Kommunikation: Finden Sie eine faire Balance zwischen sich selbst mitteilen und auf den Partner oder die Partnerin eingehen. Hier haben wir einige Tipps für Sie zusammengestellt. (Quelle: Kommunikationstrainings des Instituts für Kommunikationstherapie e.V.)
Wenn Sie reden
Sprechen Sie ganz persönlich von sich, Ihren Gedanken, Gefühlen und Wünschen, zum Beispiel:
- „Ich fühle mich, als würden wir gar nicht mehr an einem Strang ziehen.“
- „Ich fühle mich mit der Kindererziehung alleingelassen.“
- „Ich wünschte, wir wären wieder mehr ein Team.“
Klagen Sie nicht mit Verallgemeinerungen und Vorwürfen an („Immer fällst du mir vor den Kindern in den Rücken!“)
Machen Sie Ihre Aussagen an konkreten Situationen und Verhaltensweisen fest und somit nachvollziehbar, zum Beispiel:
„Als du mir bei der Diskussion um die Kinder-Handy-Zeit nicht zugestimmt hast, da habe ich gedacht: Jetzt stehe schon wieder nur ich vor den Kindern als Buh-Mann da. Das hat mich total frustriert.“
Wenn Sie zuhören
Zuhören und ausreden lassen heißt nicht, dass Sie jedem Wort zustimmen müssen – sondern dass Sie das Gesagte respektieren.
Schenken Sie Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner Ihre ganze Aufmerksamkeit.
Fassen Sie zusammen, wie Sie das Gesagte verstanden haben und stellen Sie interessierte, aufgeschlossene Nachfragen. Es geht darum, Verständnis für die Wahrnehmung und Gefühle des Gegenübers zu zeigen – nicht zwangsläufig um Einverständnis.
Die App „Paaradies… damit die Liebe bleibt!“
Sie haben die App „Paaradies®“ mitentwickelt. Wie kann sie Paaren im Alltag helfen, ihre Kommunikation zu verbessern?
Unser Arbeitsslogan war: „Paaradies: die App für alle Paare, die aktiv etwas für ihre Beziehung tun wollen – damit die Liebe bleibt.“ Der Satz fasst die Idee gut zusammen. Kommunikationskurse mit festen Terminen sind nicht jedermanns Sache. Wir wollten ein modernes Medienangebot entwickeln, das Paare zeit- und ortsunabhängig nutzen können und damit auch noch weitere Zielgruppen ansprechen. Die App hat acht verschiedene praktische Tools zur Beziehungspflege, damit große Konflikte und Krisen gar nicht erst entstehen. So können Paare immer wieder neu und auf unterschiedliche Art und Weise spielerisch ihre Kommunikation und Interaktion verbessern. Zur App gehört auch die umfangreiche Website „Damit die Liebe bleibt“ mit vielen weiteren Anregungen, Tipps und Tricks für den Erhalt der Liebe.
Die App „Paaradies®… damit die Liebe bleibt“
- Die App Paaradies® wurde unter Leitung von Dr. Sandra Hensel am Institut für Kommunikationstherapie e.V. in München entwickelt. Das Projekt wird vom Bayerischen Familienministerium gefördert. Die App bietet acht Module, mit denen Paare ihre Kommunikation spielerisch verbessern können, zum Beispiel:
- Virtueller Liebesbrief (um Komplimente zu verschicken, fördert Zuneigung und Wertschätzung)
- Aufgaben-Modul (regelmäßige Anstöße, Zeit in Gespräche zu investieren und Zweisamkeit zu pflegen)
- Stimmungs-Modul (um täglich die eigene Stimmung abzuspeichern, reagiert auf Absinken der Beziehungszufriedenheit)
- Nörgeltafel (um Ärger und Frust aufzuschreiben und daraus konstruktive Nachrichten an die Partnerin bzw. den Partner zu formulieren)
- Album „Unsere Zeit“ (um schöne Momente und Erinnerungen zu sammeln)
Gelten die Tipps auch für Gespräche zwischen Eltern und Kindern?
Auf jeden Fall. Auch Kindern sollte man Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Offenheit entgegenbringen und sie zum Gespräch ermuntern: „Ich sehe, du bist ziemlich traurig. Möchtest du mir erzählen, warum? Ich nehme mir jetzt Zeit und höre dir ganz genau zu.“ Und dann ebenso aktiv zuhören und zusammenfassend rückversichern, ob man die Situation und die Gefühle richtig verstanden hat: „Also du hast dich mit dem Tom in der Schule gestritten und das macht dich so traurig?“ Bei Kindern ist es auch sehr wichtig, Blick- und Körperkontakt herzustellen und sich tatsächlich auf Augenhöhe zu begeben. Also sich vor das Kind zu hocken oder danebenzusetzen und nicht von oben herunterzuschauen. Es kann auch besser sein, auf Ratschläge erstmal zu verzichten, damit das Kind im Gespräch selbst Lösungen entwickeln kann. Und wenn Sie doch Lösungen vorschlagen möchten, ist es bei Kleinkindern wichtig, nicht zu viele Auswahlmöglichkeiten zu geben – die überfordern sie nämlich. Also nicht: „Möchtest du mit Papa spielen? Oder mit deinem Bruder? Wir könnten auch rausgehen? Oder willst du allein Lego bauen?“ Lieber nur zwei Vorschläge machen und dann eine Entscheidung abwarten.
Kann man Kommunikation auch mit Kindern üben – für eine „kommunikationsstarke Familienkultur“?
Ja, durchaus. Einfache Regeln machen auch schon bei ganz kleinen Kindern Sinn. Zum Beispiel: „Alle hören zu, wenn jemand spricht.“ „Jeder darf ausreden.“ „Keiner wird ausgelacht.“ Grundsätzlich lernen Kinder aber auch sehr stark durch Modelllernen. Wichtig ist deshalb, dass Eltern den konstruktiven Umgang mit schwierigen Themen vorleben. Und dass sie Familiengespräche gezielt fördern. Es gibt ja zum Beispiel den „Familienrat“: regelmäßig einen „Runden Tisch“ zu einem bestimmten Thema einberufen und dann gemeinsam eine Lösung finden. Selbst die Kleinsten wollen, dass man ihnen zuhört und dass sie mitentscheiden können, z. B. bei Familienregeln rund um Fernseh-, Internet- und Handyzeiten.
ÜBRIGENS
Für Teenager und junge Erwachsene gibt es das Kommunikationstraining „talk, talk, talk and more“, kurz „ttt“. Es richtet sich an Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen und hilft, schon zu Beginn des Erwachsenenlebens Fähigkeiten für die Gesprächsführung in Beziehungen, Beruf, Freundeskreis und Familie zu lernen und zu vertiefen.
Derzeit werden Paare und Familien auf eine besondere Probe gestellt: Welche Kommunikations-Tipps helfen in Zeiten von Corona-Lockdowns?
Homeoffice, Homeschooling, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, mangelnder Freizeitausgleich, vielleicht auch finanzielle Sorgen: Die Corona-Krise ist mit ihren geballten Belastungen für jede Partnerschaft und Familie ein absoluter Stresstest. Da sind Streits fast schon eine logische Konsequenz. In dieser Ausnahmesituation ist es besonders wichtig, dass die Eltern untereinander, aber auch mit ihren Kindern immer im Gespräch bleiben: sich emotional öffnen, sich über Ängste, Sorgen und Überforderungsgefühle austauschen. Aber auch: dass sie positive Alltagserlebnisse teilen und über Wünsche und Träume für die Zukunft sprechen. Und: Wertschätzung und Anerkennung vermitteln, also dem Gegenüber zeigen, wie wichtig und wertvoll er bzw. sie ist. Das können Sie über kleine Liebesbeweise tun, mit einem Kompliment oder Lob. Entscheidend ist, sich gegenseitig bewusst Aufmerksamkeit und Zeit zu schenken, auch wenn es im Alltagschaos schwierig ist. Und: gerade in solch einer Extremsituation Rücksicht und Nachsicht walten lassen. Also auch mal über die unaufgeräumte Küche oder die grummelige Laune hinwegsehen. Wer noch mehr Tipps und Übungen sucht: Auf unserer „Paaradies“-Homepage haben wir einen „Corona-Survival-Guide für Paare“ zusammengestellt.
Wenn ein Paar oder ein Elternteil professionelle Beratung und Hilfe sucht – wohin können sich Betroffene wenden?
Wenn Sie in einer Partnerschafts-, Familien- oder Ehekrise stecken, selbst keine Lösung finden und vielleicht auch über Trennung nachdenken, sollten Sie sich rechtzeitig Hilfe holen. Auf unserer Website „Damit die Liebe bleibt“ haben wir die Kontaktdaten einiger kostenloser Beratungsstellen zusammengestellt: in Bayern, ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz. Scheuen Sie sich nicht, diesen Schritt zu gehen – es lohnt sich, egal zu welcher Entscheidung Sie letztendlich kommen.