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Zu-Hause-Gefühl

Wir treffen Alexandra Gaßmann, Mutter von neun Kindern, in ihrer Küche. Ein heller Raum, viele Regale, darin riesige Kochtöpfe, daneben zwei geräumige Kühlschränke. „Ja, unsere Küche ist groß, aber immer noch zu klein – ich hätte gern einen dritten Kühlschrank und eine Speisekammer“, sagt Alexandra Gaßmann, die zusammen mit ihrem Mann Arthur und ihren neun Kindern in München lebt. Im Moment ist es ruhig im Haus – alle Kinder sind für eine Woche im Zeltlager. Das heißt für die Neunfachmutter, die zudem als Vorstandsvorsitzende des Vereins KINDERreich in Bayern e.V. sowie als Stadträtin aktiv ist: nacharbeiten, was liegen geblieben ist. Und: „Die ganze Woche bleibt die Küche kalt.“ Normalerweise wird bei den Gaßmanns nämlich jeden Tag frisch gekocht. „Das ist für mich grundlegend, das schweißt Familien zusammen: die Vorfreude auf das Nach-Hause-Kommen.“

Alexandra Gaßmann

Porträtbild: Alexandra Gaßmann.

Mutter von neun Kindern, Hausfrau, Stadträtin und Vorstandsvorsitzende des Vereins KINDERreich in Bayern e.V. Für Alexandra Gaßmann sind die Interessen von (Groß-)Familien eine echte Herzensangelegenheit – politisch und persönlich. (Foto: privat)

Früher hat Alexandra Gaßmann als Arzthelferin gearbeitet, bis zum dritten Kind auch noch stundenweise nach der Elternzeit. Danach war sie sieben Jahre selbstständig, hatte ein Kinderschuhgeschäft. Als sich das fünfte Kind ankündigte, entschied sie sich ganz für die Familie. Mit ihrem Mann Arthur und ihren Kindern lebt sie in München. Auch neben ihrem Job als Hausfrau und Mutter ist Alexandra Gaßmann sehr engagiert: Sie setzt sich im Stadtrat und in der Kirche für soziale Themen ein.

Melodie des Lebens

Frau Gaßmann, wollten Sie schon immer sehr viele Kinder haben?

Alexandra Gaßmann: Es war nicht so geplant, aber hat sich entwickelt: Zwei Kinder waren uns zu wenig, also bekamen wir noch eins. Nummer zwei fühlte sich dann aber nicht richtig wohl, so als „Sandwich-Kind“. Dann haben wir ein viertes Kind bekommen und mit Nummer zwei war alles wunderbar. Nach und nach haben wir uns immer wieder gefragt: Können wir uns noch ein Kind vorstellen und auch leisten? Wobei: Ich bin der Meinung, das „Leisten“ ist nicht das Wichtigste – denn wenn Kinder in Liebe aufwachsen, ist es egal, wenn sie nicht alles besitzen. Im Gegenteil: Ich finde es wichtig, dass junge Menschen lernen, dass man im Leben auch auf Dinge verzichten muss. Ich würde alles nochmal genauso machen. Aber: Jeder muss für sich entscheiden, ob und wie viele Kinder er haben möchte.

Eine Girlande mit dem Schriftzug: „Happy Birthday Super-Mutti“.

Die Küche ist Mittelpunkt der Familie Gaßmann, hier herrscht „ein ständiges Kommen und Gehen“. Über der Sitzecke hängt eine selbst gebastelte Girlande – ein Geburtstagsgeschenk der Kinder für ihre „Super-Mutti“. (Foto: Tina Strohbehn)

Wie wohnen Sie?

Seit ein paar Jahren haben wir zwei Vierzimmerwohnungen übereinander. Als wir nur eine Wohnung hatten und dann schon zu neunt waren, haben wir kurz überlegt, aufs Land zu ziehen. Mein Mann und ich schliefen zu dieser Zeit im Wohnzimmer, die Kinder zu viert in einem Zimmer. Zum Glück hat das mit der zweiten Wohnung geklappt. Sechs unserer Kinder sind noch zu Hause, drei sind ausgezogen und wohnen in der Nachbarschaft. In der oberen Wohnung befindet sich neben den Kinderzimmern auch das Nähzimmer und die Waschküche – diese ist gleichzeitig mein Büro.

Wie sieht ein Tag bei Ihnen aus?

Ich stehe um fünf Uhr auf, um einen kurzen Moment für mich zu haben. Dann richte ich Frühstück und Brotzeit für die Kinder her und wecke sie. Wenn sie aus dem Haus sind, beginnt für mich die Arbeit – dann fahre ich zu Sitzungen, Tagungen, Vorträgen für den Stadtrat oder den Verein. Oder ich mache in der Früh noch die Wäsche – damit das auch erledigt ist. Ich wasche jeden Tag, 18 Maschinen in der Woche. Zum Glück habe ich drei Waschmaschinen.

Mein Mann ist Metzgermeister; er arbeitet nachts und kommt vormittags nach Hause. Sonst könnte ich die Arbeit als Stadträtin nicht machen – oft arbeite ich sechs bis sieben Tage in der Woche. Jeden Abend planen wir zusammen den nächsten Tag. Aber am Wochenende darf ich auch mal etwas länger schlafen. Was ich dann sehr gern mag, ist das gemeinsame Frühstück: Essen, reden, diskutieren – in unserer Küche herrscht ein ständiges Kommen und Gehen.

Gesagt

Ich würde alles nochmal genauso machen. Aber: Jeder muss für sich entscheiden, ob und wie viele Kinder er haben möchte.

Wie viele Stunden hat Ihr Tag?

Zu wenige.

Wie schaffen Sie dann alles?

Keine Ahnung. Im Ernst: Man muss lernen, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und alles im Blick zu behalten. Ich kann gut organisieren – dank Smartphones ist das heute einfach, wir kommunizieren innerhalb der Familie viel über Nachrichten.

Also haben alle Kinder ein Smartphone?

Nein, die jüngsten beiden – sie sind neun und zwölf Jahre alt – haben noch keins. Die 18-Jährige wollte eigentlich kein Handy – sie sagt immer, die Menschen sollten von Angesicht zu Angesicht kommunizieren. Weil sie aber nie etwas von unseren Familien-Chats mitbekommen hat, haben wir ihr ein Smartphone geschenkt.

Familie Gassmann in Zahlen

  • 2 Kühlschränke
  • 4 bis 5 Spülmaschinen-Gänge am Tag
  • 3 Waschmaschinen
  • 18 Maschinen Wäsche pro Woche

Haben Sie auch mal einen Moment für sich?

Selten. Aber ich habe gelernt, dass ich mir kleine Auszeiten nehmen muss und versuche, regelmäßig zu walken. 10.000 Schritte müssen täglich sein – da braucht man auch Disziplin.

Und wie machen Sie Urlaub?

Wir fahren immer mit dem Auto. Früher hatten wir zwei Kleinbusse, heute reicht einer – es fahren inzwischen nicht mehr alle mit, einige Kinder müssen arbeiten oder studieren. Jahrelang waren wir auf Campingplätzen in Mietwohnmobilen, inzwischen auch schon öfter in Ferienwohnungen. Wichtig: Ich nehme meine eigenen Töpfe mit, weil nur die groß genug sind. Zum Urlaub gehört auch eine gute Planung, da gibt es bei uns viele Listen.

Was ist das Wichtigste am Elternsein?

Die Liebe zu den Kindern. Wenn man sein Bestes tut, dann kann nicht viel schiefgehen. Es gibt natürlich kein Patentrezept – für gar nichts. Jedes Kind ist anders, das bedeutet: Ich habe neun unterschiedliche Kinder. Bei manchen brauche ich gar keine Verhaltensregeln, bei anderen schon. Unser Jüngster zum Beispiel ist unser kleiner Haudegen. Die Lehrerin hatte ihn einmal nachsitzen lassen. Damit hatte ich kein Problem, aber er konnte mir nicht Bescheid geben – er hat ja kein Handy. Als ich mit seiner Lehrerin darüber sprach, sagte sie: „Ja, Frau Gaßmann, er hat jetzt kein Handy mehr, das habe ich ihm ja längst abgenommen.“ Es stellte sich heraus: Unser Jüngster hatte das Handy seiner Schwester gemopst. Sie hat es nicht wirklich vermisst, weil es ihr nicht wichtig ist. Das Gerät lag also seit Monaten im Sekretariat.

Was haben Sie gemacht?

Der Kleine musste ins Sekretariat gehen, dort die Geschichte erzählen und das Handy zurückholen. Es war ihm natürlich unendlich peinlich – das war heilsam. Er nimmt nichts mehr, was ihm nicht gehört.

Was ist das Schwierigste für Eltern?

Immer gerecht zu sein und die nötige Zeit für jeden zu haben, das ist gerade bei vielen Kindern nicht immer leicht. Ich versuche aber, mit allen ungefähr gleich viel Zeit zu verbringen – vom Kinobesuch bis zum Fußballspiel. Zeit und Liebe sind in meinen Augen die wichtigsten Dinge für Familien. Ich finde, ein Kind sollte nicht Accessoire, sondern ein Lebensinhalt sein. Ich bin stolz, dass mein Mann und ich das alles zusammen schaffen.

Gesagt

Ein Kind sollte nicht Accessoire, sondern ein Lebensinhalt sein.

Welche Werte vermitteln Sie Ihren Kindern?

Im Grunde sind das uralte Bauernregeln meiner Uroma – einfache, kleine Dinge, die hängen bleiben. Zum Beispiel: Wer vom Tisch aufsteht, räumt etwas ab – nach dem Motto „Niemals leer gehen“. Uns war die Bildung unserer Kinder immer wichtig – das ist leider eine Sache des Geldbeutels. Unsere Kinder haben zum Glück den Übertritt ins Gymnasium aus eigenem Antrieb geschafft, einige haben Abitur, andere die Mittlere Reife.

Neun Kinder, das bedeutet neunmal Pubertät – wie behalten Sie die Nerven?

Wir haben natürlich alles erlebt – Rebellieren, Streitereien in allen Facetten. Beim ersten Kind waren wir sensibler, mit der Zeit wurden wir sehr viel gelassener. Mein Rat: Man muss Vertrauen in seine eigene Erziehung haben, man hat schließlich gute Arbeit investiert. Oft helfen mir inzwischen auch meine größeren Kinder, indem sie die pubertierenden Kleineren einbremsen. Ein Beispiel: Meine älteste Tochter wollte früher in Minirock und kurzem Top zur Schule gehen. Ich habe sie zurückgepfiffen und gesagt, sie solle sich anständig anziehen. Vor Kurzem wollte Nummer sechs in einem ähnlichen Outfit raus. Meine älteste Tochter hat sie zurechtgewiesen – ich musste gar nichts machen, außer in mich hineinlachen. Da habe ich alles richtig gemacht.

Tipp

Eltern müssen eine gewisse Weisheit, Ruhe und Gelassenheit an den Tag legen.

Natürlich regelt sich nicht alles so einfach, ich muss auch einiges aushalten: Eine Tochter wollte z. B. immer wieder ihre Haare färben – blau, rot, türkis, grün. Ich war nicht begeistert. Aber: Wir haben darüber geredet, sie hat es ausprobiert. Eltern müssen eine gewisse Weisheit, Ruhe und Gelassenheit an den Tag legen. Mein Mann ist aber von uns beiden der Ruhigere, ich bin eher aufbrausend.

Alexandra Gaßmann notiert etwas in großen Buchstaben auf einem Block.

Die Mutter von neun Kindern findet: Familie ist …

Wo holen Sie sich Rat und Hilfe?

Unser größtes Netzwerk ist der Freundeskreis. Der Zusammenhalt ist groß und wir helfen uns gegenseitig. Die Tochter meiner besten Freundin ist z. B. heute die Patentante unseres jüngsten Sohns.

Alexandra Gaßmann zeigt den Block mit ihrem Statement.

… kein Wunschkonzert, aber die beste Melodie des Lebens. (Fotos: privat)

Wie halten Ihre Kinder zusammen? Gibt es oft Streit?

Unsere Familie hat eine große Diskussionskultur. Wir reden ständig – ob über politische, gesellschaftliche oder persönliche Themen. Das ist zwar anstrengend, aber es schafft selbstbewusste und eigenständig denkende junge Menschen. Das ist spannend und für uns sehr wichtig. Die Kinder verstehen sich alle gut und sind sich einig: Sie möchten niemals anders leben, ohne viele Geschwister.

Wie begegnen Außenstehende Ihnen und Ihrer Familie?

Natürlich gibt es Reaktionen wie „Habt ihr keinen Fernseher?“ oder „Haben die keine anderen Hobbys?“. In der Grundschule wurde meine Tochter auch mal gemobbt, da habe ich mit der Mutter dieses Kindes geredet. Einmal sind wir alle aus dem Auto ausgestiegen, da grummelte ein Nachbar: „Hätte es das auch noch gebraucht?“ Meine Reaktion? Ich habe ihn gebeten, mir zu zeigen, welches Kind er genau meint? Da wurde ihm bewusst, was er gesagt hat, er hat sich entschuldigt und ist seitdem immer sehr freundlich. Im Amt wurde ich mal nach den Namen der Väter meiner Kinder gefragt. Es gibt nur einen – mein Ansprechpartner konnte es kaum glauben. Vorurteile gibt es ohne Ende, das weiß ich auch von den anderen Familien. Da muss man klar bleiben und seinen Standpunkt vertreten.

Wir müssen Familien stärken

Wofür setzen Sie sich als Stadträtin ein?

Ich bin Quereinsteigerin, seit 13 Jahren politisch aktiv und seit einem Jahr im Stadtrat. Hier möchte ich vor allem die sozialpolitischen Themen in Angriff nehmen, die mich immer schon begleiten: Ältere Menschen, Frauen, Familie – wir müssen die Familien stärken und auch den Fokus mal auf andere Modelle als Mutter-Vater-Kind richten. Kinderreichtum ist ein wichtiges Thema. Ich setze mich u. a. dafür ein, dass Familien in der Stadt wohnen können. Denn immer noch ziehen viele aufs Land, weil sie hier nichts mehr finden. Die Politik muss erkennen, wie wichtig kinderreiche Familien sind. Auch für die Wirtschaft – wir investieren schließlich in Kinderkleidung, brauchen mindestens drei Kindersitze, mehrere Kinderwagen.

Gesagt

Kinderreiche Familien haben so viel soziales Potenzial – deshalb müssen wir sie mehr fördern.

Warum ist Bayern für Sie ein Familienland?

Weil Bayern Familie, in welcher Art auch immer, hochhält. Bayern gibt Familien die Freiheit, ihr Leben zu gestalten und unterstützt sie dabei – z. B. durch das Landeserziehungsgeld oder das Betreuungsgeld. Dadurch gewinnen Eltern außerdem mehr Zeit für die Familie. Was ich mir wünschen würde: bei Bedarf noch mehr Zeit und Unterstützung auch für ältere Kinder.

Was bedeutet Familie für Sie ganz persönlich?

Dieses besondere Zu-Hause-Gefühl und Liebe. Aufgehoben und behütet sein. Und: auf andere zu schauen. Die schlimmste Krankheit im 21. Jahrhundert ist der Egoismus. Ich wünsche mir, dass die Menschen über den Tellerrand schauen und sehen: Es gibt verschiedene Familienmodelle. Kinderreiche Familien haben so viel soziales Potenzial – deshalb müssen wir sie mehr fördern.

Blitz-Antworten: „Großfamilie ist …“

  • … heute: ein Zukunftsmodell.
  • … in Zukunft: die Rettung für den Staat.
  • … in der Großstadt: ein Exot.
  • … auf dem Land: immer noch anzutreffen.
  • … für Väter: ein echter Gewinn.
  • … in den Medien: nicht vorhanden.
  • … finanziell: eine Riesenherausforderung.
  • … für mich: das einzig Wahre.